Von der Autonomie zu den Autonomien

von Jacques Wajnsztejn

Übersetzung aus dem Französischen : Bernd Beier

Veröffentlicht im : Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit (AGWA), Nr.15 (1998). S.379-400.

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Welche Form „die Autonomie" in den letzten Jahren auch angenommen hat, sie ist immer mit den Bewegungen der Kämpfe der sechziger und siebziger Jahre verbunden gewesen, Bewegungen, die sich aus verschiedenen Gründen im Bruch mit der existierenden Ordnung und den woher auch immer kommenden herrschenden Werten gebildet haben: Bruch mit dem american way of life, Bruch mit den traditionellen Organisationen der Arbeiterklasse, Bruch mit der Akzeptanz einer mißlungenen Vergangenheit.

Diese Brüche sind ebenso theoretischer (Überprüfung und Kritik des Marxismus) wie praktischer (Rekurs auf nicht konventionelle Methoden: Gewalt, Illegalismus, Spott) Art gewesen. Die erste Autonomiebewegung hat sich um eine zweite - eine tendenzielle Autonomie von der sozialen Bewegung selbst - verdoppelt. Wenn die Autonomie das Produkt von Kämpfen und nicht das simple Ergebnis einer Krise der Werte, einer Krise der Gesellschaft gewesen ist, so ist sie nur ausgehend von den Grenzen und dem Niedergang der ursprünglichen Kampfbewegung vereinnahmt und institutionalisiert worden. „Die Autonomie" konnte somit als Versuch erscheinen, die Ebenen des Bruchs nach einer zugespitzten Phase von Zusammenstößen zu stabilisieren, wie es die Beispiele der BRD („alternative Bewegung"), Italiens (Bewegung „der organisierten Autonomie") und Frankreichs (Auflösung des gauchistischen Aktivismus der Jahre 1969 bis 1975) zeigen. Aber in allen diesen Fällen konnte „die Autonomie" zugleich nur als Partikularisierung funktionieren: Partikularisierung der revolutionären Klasse im Rahmen der „Arbeiterautonomie" in Italien bis in die siebziger Jahre sowie Partikularisierung der Individuen im Innern der in Auflösung befindlichen Klassen (Atomisierung) in der BRD und in Italien nach den Auseinandersetzungen in Bologna 1977. In Frankreich findet man eine vermittelnde Position, eine Art Synthese zwischen diesen beiden Ebenen von Partikularisierung, die sich ebenso im Vordringen des Begriffs der Selbstverwaltung (der Unternehmen wie des täglichen Lebens) wie im Erfolg des „Situationismus", vor allem durch die Thesen Raoul Vaneigems, wiederspiegelt.

Die Bewegung der Partikularisierung wird von einem Fetischismus der Befreiung begleitet: Befreiung der Arbeit von ihren kapitalistischen Ketten, Befreiung der Produktivkraft dieser Arbeit, Befreiung der Kreativität und der Wünsche, Befreiung von den repressiven Institutionen (Schule, Familie) und Befreiung von den feststehenden Rollen und Normen. Diese „Befreiungs"-Bewegungen sind, während sie ihre Distanz zu den bürgerlichen und marxistischen Ideologien ausdrückten, im begrifflichen Rahmen dessen verblieben, was sie kritisierten, das heißt in einem System, das sich vor allem über Kräfteverhältnisse und Macht zu definieren sucht, das versucht, den Individuen ein Maximum abzuverlangen, sei es an Arbeit, an schöpferischer Tätigkeit oder an Sex. Das Kapital wird somit nicht als ein widersprüchliches soziales Verhältnis aufgefaßt, das man überwinden oder aus dem man ausbrechen muß, sondern als ein System, das Kräfte gegeneinander ausspielt und wo es einfach darum geht, ein Kräfteverhältnis umzukehren, indem eine bis dahin unterdrückte Macht sich artikulieren kann. Daher die Strategie der Autonomie.

1. Die Autonomie als Partikularisierung der Klasse

Diese Form von Autonomie bewegt sich völlig im Rahmen der Definition der Klassen von Marx in seinen Frühschriften, derzufolge eine Klasse nur dann ein historisches Subjekt und eventuell ein revolutionäres Subjekt sein kann, wenn ihr ein Doppelcharakter von „Klasse an sich" und „Klasse für sich" zugesprochen werden kann. Während die marxistisch-leninistische Theorie des Proletariats die Tendenz hat, die zweite Bestimmung als zu hegelianisch und linksradikal zu liquidieren, tendiert die „Arbeiterautonomie" (Operaismus) dazu, sie in einen auf die Spitze getriebenen Voluntarismus („die Arbeitersubjektivitäten") ausufern zu lassen.

1.1 Das italienische Beispiel

1.1.1. Vom Operaismus zur Autonomie

In den Anfängen des Operaismus wird die Marxsche Unterscheidung zwischen Proletariat und Arbeiterklasse wieder aufgenommen und von Mario Tronti als proletarische Charakteristik der Arbeiterklasse benannt, aber eigenartigerweise wird diese proletarische Dimension verschwinden, während sie für Marx die Grundlage seiner Theorie vom Ende der Klassen im Kommunismus bildete. Es ist dennoch dieser proletarische Charakter, der den Doppelcharakter der Arbeiterklasse ausmacht, zugleich Klasse im Innern der kapitalistischen gesellschaftlichen Beziehungen zu sein und eine Klasse, die sich diesen Beziehungen gegenüber negativ verhält, eine Klasse, die sich als letzte Klasse der „menschlichen Vorgeschichte" selbst negieren muß.

Diese potentielle Negativität (der Proletarier ist der, der nichts hat, und der somit kein besonderes Interesse geltend zu machen hat, was ihm erlaubt, die Grenzen des unmittelbaren Bewußtseins zu überschreiten) wird also nicht als Basis der Autonomie wahrgenommen, da diese nur im Innern der Arbeitsverhältnisse, im Innern des Ausbeutungsverhältnisses gesucht wird. Nicht zufällig nimmt diese Form der Autonomie den Namen „Arbeiterautonomie" („Autonomia operaia") an. Mario Tronti korrigiert also Marx: „Wenn die Arbeiter - als produktive Arbeit - dem Kapital einverleibt wurden, und die Proletarier - als Verkäufer der Arbeitskraft - sich beständig dem Kapital entgegenstellten, dann gab es keinen anderen politischen Weg für die Revolution als den, die Arbeiterklasse erneut ins Proletariat hinabzustoßen."1 Tronti widersetzt sich dem, denn für ihn ist der Begriff Proletariat unangemessen, da die Arbeiterklasse ihren aktiven und schließlich subversiven Charakter im Kampf ausdrückt. Der „kollektive Arbeiter" muß sich der Maschine widersetzen - insofern, als sie die Herrschaft der toten über die lebendige Arbeit erlaubt - und zugleich der Umwandlung dieser lebendigen Arbeit in eine Ware. Tronti kritisiert hier implizit einige politische Texte von Marx und besonders einige Passagen des „Kommunistischen Manifests".

Tronti versucht eine Art Arbeiterwissenschaft zu begründen, die sich sowohl von der unheilvollen „proletarischen Wissenschaft" Stalins als auch von einem soziologischen Ansatz freizumachen sucht, der auf dem Konzept der Arbeiteruntersuchung basiert, die von Raniero Panzieri im Rahmen der „Quaderni Rossi" initiiert wurde, an denen auch Tronti mitwirkte.2 Tronti kann, indem er den Begriff der Arbeitersubjektivität einbrachte, als Begründer des Konzepts der „Arbeiterautonomie" betrachtet werden. Diese subjektivistische Dimension wird bei Antonio Negri mit dem Begriff der „subjektiven Klassenzusammensetzung" noch verstärkt, weitergehend dann in seinem Werk „Marx au-delà de Marx", auf das weiter unten noch eingegangen wird.

Gleichwohl hebt der Operaismus das proletarische Programm nicht auf und bezieht sogar die Widersprüche der Periode mit ein. So setzt Tronti, wenn er vorbringt, daß der Sprung vom Proletarier zum Arbeiter auf der Ebene der sozialen Gewalt den Übergang von der Revolte zur sozialen Revolution mit sich bringt, die notwendige Aufhebung des Proletariats voraus, dabei ausgehend von der klassischen Definition dessen, was seine doppelte Bestimmung ist: einerseits ohne Reserve (Dimension der Revolte), zugleich aber auch Produzent und Träger einer anderen produktiven und gesellschaftlichen Organisation (revolutionäre Dimension). Das führt in eine theoretische Zwickmühle, denn einerseits folgt daraus die Glorifizierung des Arbeiters als lebendige Arbeit, andererseits die Verweigerung des Lohnverhältnisses. Es führt aber auch zu einer praktischen Zwickmühle: Wie kann aus dieser doppelten Bestimmung ein revolutionäres Subjekt entstehen? In Ermangelung einer offensichtlichen Antwort greifen die Operaisten auf die alte leninistische Medizin zurück. Die politische Avantgarde soll die revolutionäre Richtung bestimmen und im eher politischen als ökonomischen Kampf eine andere Klasseneinheit begründen als die vom Kapital vorgegebene. Das Verhältnis zwischen Individuum und Klasse wird vertauscht, denn der Individualisierungs-prozeß wird nicht richtig wahrgenommen. Das isolierte Individuum (der Proletarier) soll sich im Rahmen einer subjektiven Neuzusammensetzung der Klasse in einen bewußten kollektiven Arbeiter umwandeln, während doch mit der abnehmenden Bedeutung der Arbeitskraft und der Umwandlung der Arbeiter-Individuen in Proletarier-Individuen sich eine umgekehrte Entwicklung durchsetzt. Tronti, der das neue an der Situation nicht erkennt, wird sich, was ziemlich logisch ist, wieder dem PCI anschließen. Aber Negri und die Gruppe „Potere operaio", die diese Entwicklung zu spät und unvollständig erkennen, werden in groben Zügen die Arbeiter in „garantierter" Stellung und die „Prekären" gegenüberstellen, ohne wirklich zu verstehen, daß auf der Unterscheidung zwischen diesen beiden Typen von Arbeitskraft gerade die Allgemeinheit des Prozesses der abnehmenden Bedeutung der Arbeitskraft beruht. Dieses Unverständnis führt sie dazu, sich in eine Praxis der Veränderung des ganzen Lebens und nicht nur der Arbeitsverhältnisse zu stürzen, aber auf der Basis des Bedeutungsverlustes und der Entwertung der Arbeit! Daraus resultieren die Forderung des „politischen Lohns",3 die Kämpfe für die Selbstreduzierung der Preise, die Besetzungen und unkontrollierten Aktionen.

Der Operaismus erscheint trotz seiner Vielgestaltigkeit als letzter theoretischer Versuch einer Theorie des Proletariats. Seinen Höhepunkt erreicht er während der großen Kämpfe der Arbeiter und Studenten in den Jahren 1968/69, aber seit 1973 kommt man außer Atem und erlebt die letzten Fabrikbesetzungen. Die Niederlage wird von Nanni Balestrini und Primo Moroni erkannt: „Durch die Umstrukturierung realisiert sich in der Tat das Ziel der Arbeiter, die notwendige Arbeit zu reduzieren, aber die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, unter denen sich diese Verschiebung vollzieht, sind dominiert vom kapitalistischen Interesse, ausgerichtet auf Herrschaft und Profit und nicht auf gesellschaftliche Nützlichkeit."4 Das bedeutet die Anerkennung der Unmöglichkeit des proletarischen Programms. In der Realität folgt auf die „Arbeiterautonomie" eine Bewegung für die gesellschaftliche Autonomie ohne besonderen Bezug zu den revolutionären proletarischen Werten. Die Gruppen der „organisierten Autonomie" (Potere operaio" und „Lotta continua") lösen sich auf und machen einer „diffusen Autonomie" und den Gruppen des bewaffneten Kampfes Platz.

Der Reichtum der italienischen Bewegung resultiert daraus, daß in ihrem Zentrum zwei historische Phasen nebeneinander existierten. Einerseits der Angriff auf die Mehrarbeit, der noch die Arbeiterzentralität manifestiert, andererseits Forderungen nach einem anderen Leben, was Reduzierung der notwendigen Arbeit bedeutet. Doch das hat nicht zu einer wirklichen Bereicherung der ursprünglichen operaistischen Theorie geführt. Die Forderung nach einem „gesellschaftlichen Lohn" bedeutet einfach, daß die Koexistenz der erwähnten zwei Phasen in Rechnung gestellt wird. Auch der Begriff eines „neuen Proletariats" ist nicht sehr hilfreich. Er gibt zu erkennen, daß die traditionelle Arbeiterbewegung und ihr Programm tot sind, während zugleich daran festgehalten wird, daß eine um den Klassenkampf zentrierte Analyse notwendig ist. Aber wie kann sich dieses „neue Proletariat" als Klasse konstituieren, wenn es keine positive gesellschaftliche Kraft bildet, da es das Ergebnis der Tertiarisierung und des Bedeutungsverlustes der Arbeitskraft ist?

Für Negri und die Gruppe „Rosso" muß die „organisierte Autonomie" die Rolle einer politischen Vermittlung spielen. Da das „neue Proletariat" von der politischen Ordnung ausgeschlossen ist, muß man diesen Ausschluß zur Basis einer Gegenmacht zivilen Ungehorsams machen. Dieses Konzept eines „neuen Proletariats" erscheint wie ein Wille, das politisch zu konstituieren, was im besten Falle nur eine negative Identität ist, eine Identität des Bruchs mit aufgezwungenen sozialen Rollen, die die Individuen zu überschreiten suchen, indem sie sich für kurze Zeitabschnitte in punktuellen Aktionen assoziieren.

1.1.2 Die Auflösung des Operaismus: die zersplitterten „Autonomien"

Ausgehend von 1977 und den Ereignissen von Bologna nähert sich die „Arbeiterautonomie" einer anderen „autonomen" Tendenz an, die sich ohne direkten Bezug zum proletarischen Programm entwickelt hat, eine Tendenz, für die Franco Berardi („Bifo") ein gutes Beispiel darstellt, der die Subjektivität der revolutionären Aktivität und in ihr betont.5 Er kritisiert auch Gramscis Konzept von „Hegemonie", insofern es die Klassen auf ihre Funktion im Kapital reduziert. Diese „Hegemonie" zwingt somit die Herrschaft der verdinglichten Verhältnisse den realen Subjekten auf. Berardi versucht eine um die objektiven Existenzbedingungen der Klassen zentrierte marxistische Definition der Klassen zu überwinden.

Wer aber ist dann das wirkliche Subjekt für „Bifo"? Er vertritt die These, daß, wenn es nicht gelingt, eine zufriedenstellende begriffliche Bestimmung des Subjekts der Neuzusammensetzung zu geben, es wahrscheinlich ist, daß seine materielle Gestalt historisch noch nicht präsent ist. Er bleibt also vorsichtiger als Negri und dessen Begriff des „gesellschaftlichen Arbeiters". Er weist lediglich darauf hin, daß die Dezentralisierung der Arbeitskraft im Rahmen der laufenden Restrukturierung des Kapitals dafür sorgt, daß sie sich als Klasse nur noch auf dem urbanen Terrain neu zusammensetzen kann.

Negri nähert sich dieser Position immer weiter an: Die neue Klasse sei ihrem Wesen nach nicht mehr produktiv, sondern kreativ. Sie befreit das Leben, und das ist es, was Autonomie schafft. Jede Praxis wird Modifizierung des Wirklichen durch das Subjekt. Das bringt ihn dazu, die marxistische Theorie der Bedürnisse (das Bedürfnis ist nicht frei, da es das Produkt eines Mangels ist, der durch die gesellschaftlichen Beziehungen geschaffen wird) zugunsten einer Theorie des Wunsches als Selbstproduktion in Frage zu stellen, die von Gilles Deleuze und Félix Guattari („Anti-Ödipus") hergeleitet wird. Zudem führt dies dazu, daß er noch bestimmter mit der Arbeiterkultur, dem PCI und den Gewerkschaften bricht. Tronti, der sich wieder dem PCI angeschlossen hatte, wirft ihm im Vorwort zur Neuauflage von „Arbeiter und Kapital" vor, die materiellen Grundlagen der Revolution zu leugnen und die Arbeiterkämpfe in allgemeinen Kämpfen aufzulösen. Der Irrtum des neuen Extremismus besteht demzufolge darin, die Materialität der Arbeiterklasse in rein subjektiven Formen des antikapitalistischen Kampfes untergehen zu lassen.

Nach seiner Verhaftung (1979) und während der Jahre im Gefängnis ist Negri bestrebt festzustellen, daß alles ein Mißerfolg war. Tatsächlich tendiert die kapitalistische Restrukturierung der achtziger Jahre dazu, die Realität des „gesellschaftlichen Arbeiters" auf kapitalistische Weise zu gebrauchen, und zwar über die Umkehrung dessen, was den höchsten Ausdruck des Kampfs des fordistischen „Massenarbeiters" ausmachte: die Verweigerung der Arbeit. Der Sinn der Verweigerung der Arbeit wird im Rahmen der Flexibilisierung der Arbeit zugunsten des Kapitals auf den Kopf gestellt. Von daher werden die Begrenzungen des früheren Kampfzyklus in den neuen Zyklus der Stabilisierung des Kapitals einbezogen. Andererseits haben sich die Kampfformen für die Autonomie in eine diffuse Autonomie aufgelöst, die schließlich von den Hauptgruppen des bewaffneten Kampfes („Brigate rosse" und „Prima Linea") instrumentalisiert wird.

Für Negri liegt der Grund für den Mißerfolg in der Tatsache, daß die Kämpfe in Italien - im Gegensatz zur BRD - keine Vermittlungen herzustellen wußten. Die Abwesenheit von Vermittlung hat demzufolge den bewaffneten Kampf als Vermittlung in Abwesenheit hervorgebracht, gewissermaßen als Dienstleistung der Bewegung.6 Aber Negri vernachlässigt die unterschiedliche Situation in beiden Ländern. In Italien konstituiert sich die „organisierte Autonomie" gegen den Versuch des „historischen Kompromisses", das heißt gegen einen Versuch, die Klassenkonflikte der Gesellschaft des Kapitals einzuverleiben und sie so ihres antagonistischen Charakters zu berauben, was, grosso modo, in der Mehrheit der anderen dominanten Länder schon realisiert ist. In der BRD hingegen ist es ein Teil dieser Gesellschaft des Kapitals, der versucht, auf voluntaristische Weise autonom zu werden, daher die Notwendigkeit, Vermittlungen herzustellen, die „Alternativen" konstituieren sollen.

Die innere Dynamik der italienischen Kämpfe hat auch die Einsätze verändert:

  Von 1968 bis 1972 dominiert der Arbeiterkampf, der um die Fabrik und den Willen kreist, eine Arbeitermacht zu etablieren, deren Vermittlungsorgane Basiskomitees oder Fabrikräte sind, die von den Gewerkschaften schrittweise institutionalisiert werden. Die ursprüngliche Bewegung wird von einer erstarkten Verteidigung der proletarischen Lebensbedingungen resorbiert (Verstärkung der gewerkschaftlichen Verhandlungsmacht, gleitende Lohnskala).

  Nach 1972 und vor allem nach den Ereignissen von 1977 ist die Ebene des Arbeiterkampfes „überwunden". Alle die alten Vermittlungen geraten in eine Krise. So heißt es im Juni 1977 in der Zeitschrift „A/Traverso": „Die Revolution ist vorbei, wir haben gesiegt", eine Formel, die wörtlich genommen werden muß. Sie kündigt eine neue Konzeption des Befreiungsprozesses (ohne Machtergreifung) durch die Schaffung eines gesellschaftlichen Bereiches an, der in der Lage ist, die Utopie einer Gemeinschaft zu verkörpern, die sich außerhalb der mit dem Begriffspaar Arbeit-Lohn verknüpften Werte reorganisiert. Die technologische Entwicklung des Kapitalismus erlaube es, die Widersprüche der Arbeitsverweigerungsbewegung durch das Aussterben der Arbeit auf der Basis einer vollständigen Automatisierung zu überwinden.

Der Gesichtspunkt aus der Aufbruchszeit der „organisierten Autonomie", wonach die wirkliche Autonomie sich, um zu existieren, politisch ausdrücken muß, ist damit durch den „alternativen" Gesichtspunkt überwunden, der das Ende der Politik aus der Tatsache erklärt, daß die wirkliche Autonomie schon existiere, daß die Bewegung das alte nur abstoßen müsse, da der Staat als aufgelöst betrachtet werden könne. Aber der Unterschied zwischen dieser Position und der wirklichen „alternativen" Bewegung in der BRD besteht darin, daß diese „Autonomie" keine konkrete Basis für Experimente darstellt. Sie ist nicht Ausdruck irgendeiner Aktivität, sondern verliert sich in symbolischen Aussagen, in der Entwicklung eines neuen gesellschaftlichen Imaginären.

In Italien bildet sich kein alternatives Rückzugsmilieu heraus, nicht einmal in der wichtigen Form einer nihilistischen Bewegung wie der No-future-Bewegung in England. Stattdessen findet ein direkter Übergang von der Massenautonomie zur Individualisierung und zu dem statt, was Jacques Guigou die „égogestion" (etwa: Ich-Verwaltung) genannt hat.7 Nach meiner Kenntnis wird aus dieser Niederlage, die zugleich eine Niederlage des Operaismus und „der Autonomie" ist, keine sehr tiefgehende kritische Bilanz gezogen. Dennoch kann man auf zwei interessante Positionen verweisen:

  Für die Zeitschrift „Collegamenti-Wobbly" wird in dem Moment, als der ursprüngliche Operaismus sich zur „Autonomie" gemausert hat, das politische Faktum einer Theoretisierung des Alltagslebens künftig als Krise einer Militanz gelebt, die sich nicht bezahlt macht. In der gesellschaftlichen Nische, in der die Militanz als einziges Mittel zur Intervention im Gesellschaftlichen akzeptiert war, wird deren Mißerfolg konstatiert; während jegliche globale Perspektive und Reflexion preisgegeben wird, verherrlicht man jede Erschütterung, die aus den einander entsprechenden Krisen des Kapitals und des Proletariats resultieren. Die „Autonomie" ist demzufolge nur noch ein defensiver Bestandteil der Arbeiterbewegung gegen die Auflösung der Arbeiter-rigidität, bestätigt dabei aber die durch die Restrukturierung hervorgebrachte Trennung zwischen „garantierten" und „prekären" Arbeitern, während das Kapital die Prämissen einer neuen Klassenzusammensetzung aufstellt, indem es seine produktive Basis ausweitet. Dies zeigt die Grenzen dieser Zeitschrift auf, die den Klassenbegriff und eine soziologische Konzeption einer Klasse zu retten sucht, die vorrangig durch ihre objektiven Charakterzüge definiert wird. Man findet sich außerhalb der operaistischen Theorie auf Positionen wieder, die nicht weit von denen der Zeitschrift „Échanges" in Frankreich entfernt sind.

  Die radikalste Kritik stammt von der Gruppe „Insurrezione",8 für die der Irrtum des Operaismus darin lag, das objektive Moment des gesellschaftlichen Verhältnisses - das der Verwertung - immer seinem subjektiven Moment - dem der Klassenbestimmung - untergeordnet zu haben. Nun aber kann sich die Autonomie weder in der unmittelbaren Situation der Klassenwirklichkeit (objektive Konzeption der Klasse) noch in ihrer Selbstverwertung (subjektive Konzeption) ausdrücken. Die Autonomie kann nur Projekt sein, oder besser, Spannung. Nur in den Momenten des Bruchs kann sie sich realisieren. Von daher reduzierte sich der leidenschaftliche Subjektivismus der „organisierten Autonomie" darauf, das abstrakte Subjekt der Autonomie in den Schichten zu suchen, die nacheinander überaus kraftvoll die Krise des Proletariats als Klasse, als revolutionäres Subjekt ausdrückten.

1.2 Das „Nicht-Beispiel" Frankreichs

Der Fall Frankreich ist paradox genug. Wenn man die Bewegung des Jahres 1968 analysiert, kann man sagen, daß sie eine Bejahung der Individualität gegen die Normen einer Gesellschaft darstellt, die besonders auf Universalität Anspruch erhebt. Sie enthält somit im Keim eine Kritik der theoretischen Aktivität als getrennter Tätigkeit und als eine der Konkretisierungsformen der Normen. Auf widersprüchliche Weise repräsentiert der Mai 1968 für Frankreich aber auch die letzte Form des Wiederanknüpfens an das Proletariat und seine Theorie.9

In ihrer ursprünglichen Erscheinung (studentisch und „jung") ist es offensichtlich, daß die Bewegung nicht auf die Machtergreifung abzielt, sondern eher auf die Autonomie, auf die Befreiung der Ideen, der Praktiken und der alltäglichen Verhaltensweisen. Dennoch entwickelt sich keine wirkliche autonome Bewegung in dem Sinne, wie man sie in Italien und der BRD versteht. Beschränkt auf die Forderung nach „Sein", die nicht mit der wirklichen sozialen Bewegung des Bruchs zusammentrifft (die Streikbewegung bleibt von der CGT eingekreist), bleibt die Bewegung vom Mai 1968 eher Ausdruck als Aktion. Das Problem des Staates wird, abgesehen von der Kritik an seinen Repressionskräften, nicht aufgeworfen, und die Bewegung bleibt voller Respekt vor den demokratischen Regeln.

Wenn auch Stadtteilkomitees und einige Studenten-Arbeiter-Komitees das Tageslicht erblickten, so blieb dies marginal und ist keinesfalls, im Gegensatz zu Italien, ins Innere der Fabriken vorgedrungen. In diesem Sinne hat die Bewegung jenes Stadium der Affirmation der Arbeit bereits überschritten, dem das Aufblühen der italienischen Basiskomitees entsprach. Die Kritik an den Gewerkschaften bleibt abstrakt, und die Bewegung drückt somit eher Verweigerungen als Perspektiven oder Projekte aus, die eine autonome Entwicklung erlauben. Sie findet keine wirkliche Verbreitung in dem sozialen Geflecht einer Gesellschaft, in der die reelle Herrschaft des Kapitals bereits überwiegt. Die Bewegung reicht bereits über die einfache Verteidigung der proletarischen Lebensverhältnisse hinaus, aber ihr Massencharakter und ihre Stärke nehmen ihr jede Möglichkeit, eine Perspektive zu erarbeiten, die nicht unmittelbar auf Abschaffung der kapitalistischen Verhältnisse abzielt. Sie riskiert somit nicht den Rückzug in ein „alternatives Ghetto" wie in Deutschland. Die Risiken liegen anderswo.

Der Niedergang der Bewegung unmittelbar nach 1968 läßt einerseits nur einen eher kühlen (die trotzkistischen Gruppen) oder hitzigen (die „Gauche prolétarienne") Linksradikalismus fortbestehen, andererseits einen „Radikalismus" des alltäglichen Lebens, der sehr schnell nur noch einen modernistischen Inhalt von Befreiung ausdrückt: Selbstverständlich Befreiung der Leidenschaften, aber auch Befreiung von allem, auch von einem Bezug auf die revolutionäre Bewegung. Den Individuen hingegen, die die Besonderheit des Mai 1968 als Scharnierbewegung zu verstehen suchen, drängt sich die Distanz zum Unmittelbaren auf, und für sie beginnt eine lange Durchquerung der Wüste im Dienste der Theorie.10

Der Erfolg der maoistischen Bewegung in Frankreich und insbesondere der „Gauche prolétarienne" und ihrer Zeitung „La cause du peuple" scheint sinnbildlich für die Grenzen der Epoche. Während sie eine theoretische Verweigerung des Avantgardismus („Mao-Spontis") beibehält, um bei den Massen „auf Empfang" zu sein, versagt sie sich jede Kritik an der Klasse, indem sie in den Niederlagen der Arbeiterbewegungen nur das Resultat von Manipulationen oder Verrat der „Gewerkschaftsbonzen" sieht. Dieser Linksradikalismus kann somit keinerlei Autonomie von der traditionellen Arbeiterbewegung und ihren Organisationen hervorbringen, trotz einer verbalen Militanz, die seine Popularität im Milieu der Studenten und Deklassierten ausmacht. Der Unterschied zu Italien wird klar, wenn man die „Gauche Prolétarienne" mit „Potere operaio" vergleicht.

Wenn man auch nicht sagen kann, daß die Individualisierung in Frankreich ausgeprägter als in anderen Ländern Europas ist, so gibt es doch keinen Zweifel, daß sie dort - im Rahmen eines zentralisierten und relativ autoritären Staates - eine besondere ist. Das hat zur Folge, daß das soziale und politische Leben auf seinen einfachen Ausdruck reduziert wird. Zunehmend zieht man sich ins Privatleben zurück, und das ideologische Wiederanknüpfen an die Kollektivität äußert sich alternativ in Form einer Anhänglichkeit an die Idee eines nationalen Wohlfahrtsstaates oder an die künstliche Forderung nach Zugehörigkeit zur „Zivilgesellschaft". Letztere repräsentiert keineswegs eine Gesellschaftsform, die „alternativ" zur französischen wäre. Der Bezug auf sie beinhaltet kein Projekt, nicht einmal ein reformistisches, denn die „Zivilgesellschaft" wird von den Individuen als reale, als wahre Gesellschaft verinnerlicht - im Gegensatz zu dem, was falsch, das heißt äußerlich sei: die Politik und der Staat. Aber der Widerspruch dieser „Zivilgesellschaft" liegt darin, daß sie ihre Rechtfertigung nur in der Präsenz des Staates findet. Sie fordert ihn auf, ihre Existenz zu garantieren, indem sie ihm ideologische und politische Schläge erspart, die seinem inneren Zusammenhalt schaden könnten. Als Beispiel sei auf die ganze Schulpolitik verwiesen, die sich darum dreht.

Wenn man in Frankreich von einer „autonomen Bewegung" sprechen kann, dann erst lange Zeit nach dem Mai 1968 und ohne besonderen Bezug auf ihn, sei es auf der Ebene der Themen oder auf der der Akteure. Selbstorganisation, Bejahung besonderer und „nomadischer" Identitäten und Praktiken am Rande der Legalität, die damit nicht immer illegal waren („Selbstreduzierungen", Hausbesetzungen) charakterisieren diese Bewegung und bringen sie der italienischen „diffusen Autonomie" nahe. Selbst wenn sie sich vor allem als praktische Bewegung der Arbeitsverweigerung behauptet, als Bewegung der Revolte gegen die verschiedenen Herrschaftsformen, die im modernen Kapitalismus wirken, so deutet sich doch bei Bob Nadoulek und dem Kreis um die Zeitschrift „Camarades" zwischen 1977 und 1979 eine kritische Reflexion an. Man kann dabei drei Kernideen freilegen:

  Da sie sich von anderen traditionellen linksradikalen Positionen unterscheiden will, ist das Risiko für die „autonome Bewegung" groß, sich als politische Alternative zu präsentieren, die sich auf die Ideen von Selbstverwaltung und direkter Demokratie stützt. Selbstverwaltung und direkte Demokratie aber sind nur Formen, die aus sich heraus keine Alternative erlauben. Es kann, so die These von Bob Nadoulek, keine formale Alternative geben, die von diesem System qualitativ verschieden ist, nur Enklaven der Kämpfe und des Lebens, wobei deren Qualität von der zufallsbedingten Ambivalenz zwischen Stärke und Anfälligkeit bestimmt ist.11 Es folgt eine Kritik der linksradikalen Idee von „Befreiung" und schließlich, ausgehend von unterschiedlichen Prämissen, eine Position, die sich der kleiner ultralinker Gruppen ziemlich annähert.

  Nadoulek schneidet auch - in Sätzen, die sich sehr von den marxistischen Vulgata unterscheiden - die Frage der Klassen und der Klassenkämpfe an. Man kann ihm zufolge den gegenwärtigen sozialen Konflikt definieren, wenn man von drei Kräften ausgeht: erstens dem Establishment (ein Wort, das dem Status einer Klasse eher Rechnung trägt, die weder wirklich herrschend ist in Bezug auf ihre Fähigkeiten, den Gesamtprozeß zu meistern, noch Bourgeoisie im Sinne einer archaischen marxistischen Terminologie ist), zweitens der Opposition mit all denen, die das System durch ein anderes ersetzen oder Positionsveränderungen durchführen wollen, und zuletzt den Kämpfen, die eine Identität hervorbringen, die ihrerseits verschiedene Strukturen durchläuft und dabei über alle die Systeme hinausgeht, die sie in ihrer Bewegung streift.

  Schließlich die Verlockung eines neuen Verständnisses der kapitalistischen Produktionsweise: Die Akkumulation ist nicht mehr die rigide eines fixen Kapitals, in der das Eigentum den Konfliktfaktor darstellt. Es gibt einen Prozeß permanenter Zirkulation ökonomischer, kultureller und informationeller Ereignisse, und es entwickeln sich jeweils die Sektoren, die die Reproduktion des Konsenses erlauben.

Im Zentrum einer Bewegung, die weniger ein kritisches Bewußtsein als Vorbedingung eines Bruchs zu entwickeln sucht, sondern eher eine „Massensensibilität" ähnlich jener ausdrücken will, die in den Ereignissen von Bologna 1977 zum Vorschein kam, bleibt diese kritische Annäherung sehr marginal.

Ausgehend von den Anti-Atom-Demonstrationen von Malville stieß die „autonome Bewegung" auf das Problem der Kampfformen und ihres Gewaltniveaus. Die französischen und deutschen „Autonomen" präsentierten sich, als seien sie die militärisch stärkeren, und verwechselten so traditionelle Kriegsspiele mit dem Ende von Demonstrationen und sozialem Krieg. Diese Unfähigkeit, das wirklich erreichte Kampfniveau und das noch zu erreichende zu bestimmen, hat zum Zerfall der Bewegung geführt. Die letzten „Autonomen" zogen sich auf ein Terrain zurück, das immer begrenzter wurde, auf eine Verwaltung der Prekarität (Hausbesetzungen), auf eine Verankerung unter den „Ausgegrenzten" und auf einige Aktionen gegen den Staat und seine Repräsentanten (Besetzung der Tageszeitung „Libération" nach dem Tod der drei Mitglieder der RAF im Gefängnis von Stammheim).

In der „autonomen Bewegung" in Frankreich manifestiert sich die Krise der Arbeit in ihrer doppelten Form: in der Verweigerung der Arbeit (proletarische Kritik) und im Bedeutungsverlust der Arbeit („Kritik" durch das Kapital selbst). Aber ein unmittelbarer Ausweg existiert nicht, denn diese Krise kommt schließlich eben erst in Gang. Diese objektive Zwickmühle führte die Reste der Bewegung auf drei Wege, die sich wiederum selbst als Zwickmühlen erwiesen:

  Der bewaffnete Kampf, der Weg, den die Gruppe „Action directe" einschlagen wird.

  Die „politisierte" Marginalität als Versuch der Reorganisierung des ganzen gesellschaftlichen Lebens, wobei es sich als unmöglich erweist, daß die Arbeit die Basis dieser Reorganisierung darstellt. Diese Bewegung freiwilliger Marginalisierung kann somit nicht der entgegengestellt werden, die eine wirkliche proletarische Bewegung der Wiederaneignung wäre, sie ist vielmehr deren Grenze und markiert das Scheitern: Auf der Basis der Krise der Arbeit gibt es nur die Armut zu teilen.

  Die „alternativen" Praktiken, die den konkreten Erfahrungen und den Veränderungen hier und jetzt den Vorzug geben.

Keiner dieser Wege hat sich wirklich entwickeln können, während in der BRD die zwei letzteren zur Gründung eines wirklichen alternativen Milieus führten, eines Milieus mit manchmal gutgehenden Geschäften und einer „alternativen" Bank, die ihm Gewicht verleihen soll! Schon im Vorfeld haben die Besonderheiten des französischen Staates die Macht veranlaßt, Jagd auf alles Randständige zu machen. Die Bewegung der Hausbesetzungen ist ständig illegalisiert und kriminalisiert worden, noch bevor sie Bedeutung gewinnen konnte. Keine Enklave konnte sich dauerhaft genug stabilisieren, um auf eine Ausweitung hoffen zu können.

1.3 Autonomie und bewaffneter Kampf in der BRD

Repräsentiert der bewaffnete Kampf eine unbeugsame Form der Autonomie? Das ist ein wenig die Position, die sich den Texten von Joachim Bruhn entnehmen zu lassen scheint: „Der existentialistische Protest gegen den Kapitalismus mündet in der konsequenten Selbstverwertung des widerständigen Subjekts."12 Dieser „Existentialismus" sei perfekt, in all seinen Implikationen, nur im Innern der Gefängnisse und besonders unter den Sonderhaftbedingungen, zum Ausdruck gekommen, gereinigt von all seinen empirischen Resten und schließlich mit sich selbst identisch geworden: „Weil die Radikalisierung des Protests zum Widerstand außer dem Willen nichts hinter sich hatte, konnte der Widerstand, um seiner selbst willen fortgesetzt, keine andere Zukunft vor sich haben als die, in absoluter Opposition gegen die bürgerliche Gesellschaft, doch ihr innerstes Gesetz, ihren objektiven Nihilismus, zu reproduzieren."13

Tatsächlich kann man diese Tendenz in einigen Ideen der RAF ausfindig machen, so in der Idee von einer im Kampf sich konstituierenden Identität (die auch von den italienischen bewaffneten Gruppen aufgenommen wurde), die, koste es, was es wolle, aufrechterhalten werden muß, weil sie die Autonomie der Gruppe gegenüber dem System garantiert, das jedes Individuum zu isolieren sucht, um es als Revolutionär zu zerstören. Man kann die Tendenz auch in der Fetischisierung der Illegalität oder der Klandestinität wiederfinden, als Mittel der freiwilligen Autonomisierung gegenüber der Bewegung und als erster Schritt zur Schaffung neuer revolutionärer Subjekte. Dabei stehenzubleiben hieße dennoch, dem bewaffneten Kampf jede objektive Grundlage in den westlichen Ländern zu bestreiten, als hätte man es schließlich nur mit einem Kampf von Personen, mit einer Revolution des Willens zu tun gehabt. In der Analyse von Bruhn wird jedoch die Intensität des Individualisierungsprozesses sowie die daraus resultierende Krise der früheren gesellschaftlichen Beziehungen negiert, während diese Krise die Individuen dazu treibt, soziale Beziehungen wiederherzustellen, wie es das Beispiel der „alternativen Gesellschaft" in der BRD zeigt. Für die Individuen, die sich im Einflußbereich des bewaffneten Kampfes befinden, existiert wohl das Bewußtsein, daß die Stunde der intersubjektiven Beziehungen zwischen den Individuen geschlagen hat, aber die Ausübung ihrer Subjektivität steht nicht mehr in Konfrontation zur Welt, da sie ihre Identität als Kämpfer aus dem radikalen Bruch ziehen, den sie mit der Welt vollzogen haben. Die intersubjektiven Beziehungen sind somit nur noch im Innern der kämpfenden Gemeinschaft möglich, die Ersatz für die menschliche Gemeinschaft wird: Das Mittel wird zum Zweck.

Interessant an diesem Versuch bleibt der Wille, mit zwei Konzeptionen der Individualisierung zu brechen. Einerseits mit der Konzeption der „Aufklärung", die ebenso die der Frankfurter Schule ist, die das Individuum als ein Subjekt begreift, das in der Verweigerung von Unmittelbarkeit und Spontaneität eine Reflexivität als einzig möglich Quelle seiner Autonomie entwickelt, und andererseits mit der Konzeption einer Individualisierung, derzufolge es nur partikularisierte Individuen als Atome des Kapitals gibt. Die Gefahr der Position der RAF und insbesondere von Ulrike Meinhof besteht darin, das Individuum nur als reine Subjektivität zu sehen, das im Kampf seine Identität als revolutionäres Subjekt findet. Der Inhalt und die Formen des Kampfes werden dann sekundär, ein Phänomen, das sich verstärkt, sobald die historischen Führer inhaftiert sind.14

1.4 Anmerkungen über die Beziehungen zwischen der Frankfurter Schule und der „Bewegung"

In den sechziger Jahren und Anfang der siebziger Jahre haben Theodor W. Adorno und Max Horkheimer bzw. Herbert Marcuse die Reflexionen im studentischen Milieu tief beeinflußt. So z.B. mit ihrer Kritik des Fetischismus der Arbeiterklasse und ihres revolutionären Wesens (erleichtert durch die Tatsache, daß dieser Fetischismus in der BRD schon weniger wichtig war als in den benachbarten Ländern), mit ihrer Kritik der Demokratie in ihrem post-bürgerlichen Stadium (eine sicherlich humanistische Kritik, aber dem Konsensualismus entgegengesetzt, den Jürgen Habermas, der dennoch als ihr Überwinder präsentiert wird, später entwickelt), die man in der Bewegung unter dem Begriff „totalitäre Demokratie" wiederfindet, sowie hinsichtlich der Notwendigkeit, ein neues revolutionäres Subjekt zu finden (Marcuse).

Die „Meister" erkennen ihre Schüler nicht immer wieder. Adorno kritisiert besonders den Subjektivismus und den antitheoretischen Aspekt der studentischen Bewegung: „Falsche Praxis ist keine. Verzweiflung, die, weil sie die Auswege versperrt findet, blindlings sich hineinstürzt, verbindet noch bei reinstem Willen sich dem Unheil. Feindschaft gegen Theorie im Geist der Zeit, ihr keineswegs zufälliges Absterben, ihre Ächtung durch die Ungeduld, welche die Welt verändern will, ohne sie zu interpretieren... solche Theoriefeindschaft wird zur Schwäche der Praxis."15 Und weiter: Der Übergang zur theorielosen Praxis wird motiviert von der objektiven Ohnmacht der Theorie und vervielfacht jene Ohnmacht durch die Isolierung und Fetischisierung des subjektiven Moments der geschichtlichen Bewegung, der Spontaneität."16

Diese Kritik verschafft der Aporie von Marx in seiner sechsten These über Feuerbach wieder Gültigkeit. Man muß die Welt immer interpretieren, bevor man sie verändert, aber das läßt die Frage, wann und wie der Übergang stattfindet, unberührt. Für Adorno stellt der Marxismus als Theorie einen interpretatorischen Mißerfolg dar, denn er hat Subjekt und Objekt der Theorie verwechselt und daher das Reale verkannt, was Adorno auch den Studenten vorwirft. Das Interessante an dieser Kritik wird durch die Tatsache gemildert, daß Adorno nicht das neue in den Aktionen der Bewegung sieht. Er erkennt in ihr nicht den Ausdruck der Krise der bürgerlichen Individualität und ihrer Modelle von Repräsentation und Identifikation, obwohl seine „Minima Moralia" dazu den perfekten und unübertroffenen theoretischen Ausdruck liefern. Dennoch wird Adorno in dieser Krise der bürgerlichen Individualität nur eine psychologische Krise der Studenten im Sinne einer Ich-Schwäche sehen. Schließlich beurteilen sie selbst die Bewegung von einem bürgerlichen Gesichtspunkt aus.17 Das hohe Niveau der Kritik von Adorno und Horkheimer wurde von einer zurückhaltenden politischen Position resorbiert. Ihr Rekurs auf den demokratischen Staat als das kleinste Übel unter den zu erwartenden Lösungen steht im Widerspruch zu Horkheimers Text „Der autoritäre Staat", ein Text, der, auch wenn er 1942 geschrieben wurde, nicht im besonderen auf den Nazistaat zielte, sondern eher auf die allgemeine Form des modernen Staates in der Ära der Technik und der Massenkultur. Tatsächlich haben Adorno und Horkheimer, wie Karl Korsch und Amadeo Bordiga, die Niederlage des Faschismus als politische Form antizipiert, aber sie haben auch seinen Sieg in der modernen Organisationsform der Produktion beim Namen genannt. Von dieser theoretischen Basis aus entwickelt die Bewegung ihren Begriff von „totalitärer Demokratie".

Die Entwicklung einer breiten deutschen ökologischen Bewegung wird Adorno ebenfalls ins Unrecht setzen. Wenn es auch ziemlich offensichtlich ist, daß eine der Grundlagen dieser Bewegung auf dem Prinzip des Selbsterhaltung ihrer Anhänger beruht („Lieber rot als tot!") und diese sich daher den herrschenden psychologisierenden Ideologien dieser Epoche anpaßt, kann sie doch nicht wie bei Adorno auf ihre Funktion als Charaktermaske, auf die Manifestation einer Klaustrophobie im Innern der Gesellschaft reduziert werden. Sie ist auch das Produkt einer direkt von Adorno und Horkheimer inspirierten Reflexion über die Zerstörung der Vernunft, die Herrschaft über die „äußere Natur" und den Bruch zwischen Natur und Kultur. Aber da, wo die Bewegung die Subjektivität als Triebkraft des Kampfes betont, hebt Adorno hervor, daß eben dieses Subjektive mehr und mehr vom Objektiven beherrscht wird und sich - wegen einer nicht überwundenen Vergangenheit, einer vorherigen Niederlage, die nicht als solche registriert wurde - als unfähig erweist, sich vom Objektiven zu distanzieren. Nur durch die Theorie könne man sich die gesamte repressive Kette wieder in Erinnerung rufen und ein neues Terrain für das eröffnen, was die wirkliche Praxis wäre. Was Adorno in seiner „Negative(n) Dialektik" herausarbeitet, ist die Abwesenheit von Vermittlungen in der post-bürgerlichen Gesellschaft. Der einzige Weg wäre damit der einer Redefinition der Beziehungen zwischen objektiv und subjektiv als Quelle zur Schaffung neuer Vermittlungen. Man muß den Vorrang des Objekts und die Stärkung des Subjekts (Prinzip der Nichtidentität) anstelle der Negation des Objekts und der Schwäche des Subjekts (Identitätsprinzip) begründen. „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen."18 Die Negation kann nichts Positives hervorbringen, und die Dialektik der Revolution ist - solange die Aporie von Marx nicht aufgelöst ist - nur noch Theologie. Hier findet eine Rückkehr in die Position eines Intellektuellen in einer Gesellschaft statt, die dennoch jede Möglichkeit, sich als „großer Intellektueller" zu konstituieren, abgeschafft hat. Adorno hat dem System nur die Revolte seines individuellen Bewußtseins entgegenzusetzen, während er zugleich das Subjekt als Lüge kritisiert. Es bleibt ihm nichts anderes, als auf dem Nonkonformismus in einer konformistischen Gesellschaft zu bestehen, trotz allem ein Unterpfand eines Widerstandes.

Marcuse hingegen sucht ein Subjekt der Negation, denn solange es keines gibt, kehrt die Negativität zur Theorie zurück. Er eröffnet nichtsdestotrotz eine Perspektive, indem er davon ausgeht, daß die bestimmte Negation sehr wohl als solche ihren authentischen Ausdruck in einer nicht politischen Sprache finden kann, und dies um so mehr, als das ganze Gebiet der Politik integrierender Bestandteil des Status quo wird.19 Er integriert also die neuen Entwicklungen, die in den nicht klassischen und alternativen Bewegungen zum Ausdruck kommen. Für Marcuse kann die „Avantgarde" nicht mehr die Aufgabe haben, die Bildung der „Klasse für sich" zu beschleunigen, denn die Entwicklung des revolutionären Bewußtseins ist eine Dimension des sozialen Seins, und das soziale Sein erlaubt heute nicht mehr die Revolution, sondern höchstens „Befreiungen".20 Außer im Fall einer schweren Krise empfiehlt Marcuse eine minimale Gewaltanwendung und schließt sich Rudi Dutschkes „Marsch durch die Institutionen" an.

1.5 Von der autonomen Bewegung zur alternativen Gesellschaft

Der Begriff „alternativ" hat einen angelsächsischen Ursprung und definiert eine mißtrauische Haltung, sowohl gegenüber der gegenwärtigen Gesellschaft als auch gegenüber Positionen, die sich durch ihre Mittel als radikal präsentieren, ohne sehr Präzises über ihre Ziele zu verraten, Positionen, die das auf später verschieben, was schon begonnen werden kann. Man kann hier eine Verbindungslinie zur utopistischen Bewegung des 19. Jahrhunderts und auch zum angelsächsischen Pragmatismus und Gradualismus ziehen. Der Einfluß der amerikanischen Protestbewegungen der sechziger Jahre in Europa ist nicht zu unterschätzen.

In den Jahren von 1960 bis 1965 haben die Ideen von Paul Goodman über die natürliche Koinzidenz zwischen Autonomie der Person und kommunitärem Geist und die Idee einer unabhängigen universitären Gemeinschaft eine große Anziehungskraft auf die amerikanischen Studenten ausgeübt. Zumindest anfangs erreichen sie einen größeren Einfluß als die Ideen von Marcuse; bei diesem schrecken die Aktivisten der Bewegung vor der Schwierigkeit der Lektüre zurück. Die „libertär-liberalen" Ideen machen somit dem geringen marxistischen Einfluß in den Universitäten (C. Wright Mills, Paul A. Baran, Paul M. Sweezy, Paul Mattick) Konkurrenz, denn sie sind mit der ultraschnellen Entwicklung des amerikanischen Kapitalismus verwoben. Es ist auch die Epoche, in der John Kenneth Galbraith seine Begriffe „neuer Industriestaat" und „Technostruktur" entwickelt, und in der C. Wright Mills die Veränderungen, die in der vorherrschend gewordenen Arbeit der Stehkragenproletarier vonstatten gehen, beschreibt. Diese „fortgeschrittene" Situation macht einige Jahre später Schule, in Europa an der „Freien Universität" von Berlin 1967, dann an der Fakultät von Vincennes nach 1968.

Aber die „Gegenkultur" manifestiert sich auch in einem gewalttätigen Antiintellektualismus, für den einzig das unmittelbar Gelebte, das Expressive, das Emotionale zählt. Man erklärt niemals, was man machen wird, sondern zeigt es durch seine Aktion, indem man seine Sichtweise der Welt lebt.21 Für Abbie Hoffman wie für Jerry Rubin22 steht es nicht zur Debatte, sich für die zukünftige Revolution zu opfern; es gilt jetzt zu leben, was nicht bedeutet, daß dieser Weg einfach ist (Hoffman ist dazu gezwungen, einige Jahre im Untergrund zu verbringen). Es ist diese Sichtweise, von der die deutsche Kommune-Bewegung geprägt ist, weniger von Religiosität, eher von einem Schuldgefühl.

Im Übergang von der „autonomen" zur „alternativen Bewegung" entwickelt sich eine Verschiebung von einem auf eine Dialektik der Befreiungen gelegten Akzent zu einer Bejahung der Möglichkeiten hier und jetzt. Das ist sowohl in der Transformation der außerparlamentarischen deutschen Studentenbewegung in die alternative Bewegung unverkennbar als auch in der theoretischen Entwicklung von Negri, wo die Arbeitermacht im Zuge ihrer Loslösung vom Kapital in einem Projekt der Gegengesellschaft aufgeht. Ein anderer früherer Führer von „Potere operaio", Franco Piperno, geht auf diesem Weg noch weiter, indem er die „Autonomie" als eine soziale Form charakterisiert, in der die Verweigerung der Utopie umgesetzt sei. Die alternative Gesellschaft existiere bereits neben dem Staat und seinen bürokratisierten Institutionen, nämlich im Reichtum der vielfältigen Erfahrungen und im Reichtum der Vielfältigkeit selbst.23 Im gleichen Werk überbietet ihn „Bifo": „Vielleicht muß der Begriff von Autonomie als selbstgesetzter Ausstieg in Bezug auf die totalitäre Dimension des Sozialen und als Selbst-Konstitution von kommunitären Formen, die unabhängig vom universellen Tausch der Waren und der Zeichen sind, neu gedacht werden" und er predigt „die Fremdheit, den Ungehorsam, die totale Verweigerung, selbst die Existenz der Macht anzuerkennen, denn die Macht beruht in letzter Analyse auf einer Halluzination, einer Simulation, einem Fehler".24 „Unsere Welt" existiert demzufolge bereits, und das Reale ist nur Illusion. Die Alternative ist somit nicht herzustellen, sie existiert nur als Problem des Bewußtseins und der Kultur, woraus sich die Rolle erklärt, die diese Strömung der Kommunikation zuweist. „Bifo" schließt sich hier den Analysen kleiner französischer post-situationistischer Gruppen an, die von den Thesen Jean-Pierre Voyers über die Abwesenheit der Realität des Realen, über die Kommunikation, die Publizität und das Schwätzen beeinflußt sind.25 „Die Alternative" kann jedenfalls vielfältige Formen annehmen. Die massive Repression von 1979 in Italien hat die von „Bifo" entwickelte Logik gebrochen, und wenn man betrachtet, was in Deutschland oder Frankreich geschehen ist, so hat die alternative Bewegung mit ökologischem Schwerpunkt als Rückzugsbasis nach der Niederlage revolutionärer Utopien gedient. Sie ist eine Bewegung der Selbstbeschränkung und des Realismus geworden (s. bei den deutschen „Grünen" den Kampf zwischen „Fundamentalisten" und „Realisten").

1.6 Provisorische Schlußfolgerung

In der „Autonomie" gibt es somit den Willen, eine neue Unmittelbarkeit herzustellen, die man auch mit dem Begriff „kritische Praktiken" benennen kann, aber in all diesen Bewegungen und Praktiken kritisiert man das neue nicht wesentlich auf der Grundlage des alten (dem Klassenprogramm, der bestehenden Theorie), sondern eher auf der Grundlage des Sinns der Bewegung, den sich die praktische Bewegung selbst aneignen können muß.

Das setzt auf unterschiedliche Weise eine Beziehung zwischen unmittelbarem und theoretischem Bewußtsein voraus. Die Krise der früheren Bestimmungen (Klassen, Geschlechter, Alter, Rollen) führt dazu, daß die Theorie nicht mehr mit einer globalen Sichtweise korrespondieren kann, die die sie entwickelnden Individuen transzendiert (das war der Fall sowohl bei den bürgerlichen Theorien als auch bei der Theorie des Proletariats). Auch wenn sie nicht mehr von der praktischen Bewegung getrennt ist, kann die Theorie nicht leugnen, daß die Trennung zwischen Bewußtsein und Praxis eine der wirklichen Trennungen der Menschheit in der Entfremdung ist. Diese Trennung ist nie überwunden worden, aber sie hat sich verschoben und ausgedehnt: Von einer vorrangigen Trennung zwischen den Individuen („Theoretiker", „Mitläufer", „Aktivisten") ist sie auch zu einer Trennung im Innern der Individuen geworden, was bei diesen einen schmerzhaften Riß verursacht, so daß sie sich nur schwerlich einer Bewegung, die zwischen Revolte und Entmutigung oszilliert, entziehen können.

Man darf diese neue Unmittelbarkeit nicht mit dem verwechseln, was nur die Manifestation eines Vitalismus neuen Typs wäre, der einem reinen und simplen Eintauchen in die sozialen Beziehungen des Augenblicks entspräche: Mißachtung der Vergangenheit, Indifferenz gegenüber der Zukunft, Apologie der Gegenwart, wie es in den „Jugend"-Ideologien zum Ausdruck kommt.

Wenn die Autonomiebewegungen neue Vermittlungen gesucht haben, dann nicht nur, weil sich die alten in der Krise befanden, sondern weil dies auch für die Individuen die einzige Möglichkeit war, in ihren sozialen Beziehungen nicht unmittelbar „innerhalb des Kapitals zu sein", die einzige Art, dem Prozeß der „Anthropomorphisierung des Kapitals" (Jacques Camatte) zu widerstehen, der gerade einen Teil des proletarischen Programms verwirklicht, aber auf eigene Rechnung: das Individuum als Partikel des Kapitals unmittelbar zu vergesellschaften, ganz im Gegensatz zu jedem autonomen Projekt! Diese neuen Vermittlungen haben vor allem die Form politischer Vermittlungen („organisierte Autonomie", „kämpfende Parteien") oder psychosozialer Vermittlungen (neue Formen der Arbeit, gemeinschaftliches Leben, gegenkulturelle Aktionen) angenommen, aber die Bewegungen haben die Frage nach der Institutionalisierung der Vermittlungen aufgegeben, obwohl sie im Hinblick auf die Schaffung eines neuen politischen und sozialen Imaginären, das jedes Projekt von Autonomie unterfüttern muß (Cornelius Castoriadis), fundamental ist.

Was die Originalität und das Interessante an den autonomen Bewegungen ausmacht, darf uns nicht verbergen, daß sie in mehrfacher Hinsicht einen Rückschritt hinter das Kampfniveau darstellen, das in der ihnen vorausgehenden Phase erreicht wurde. „Die Autonomie" bestätigt ziemlich oft den Übergang von einer Unzufriedenheit, die sich aufheben will, zu einer entfremdeten Zufriedenheit. Die „Autonomie" degeneriert somit, indem sie in „Autonomien" und „Orte von Autonomien" zersplittert. Man unterstützt die absolute Subjektivierung einer Individualität ohne Subjekt. Das hat Jacques Guigou mit seinem Begriff „égogestion" (etwa: Ich-Verwaltung) gut ausgedrückt, auch wenn dieser Begriff aus bereits erwähnten Gründen vor allem auf die französische Situation zugeschnitten ist.

Auch wenn die neue Unmittelbarkeit, die von der „Autonomie" herausgebildet wurde, eine gewisse Universalität ausdrückt, insofern sie eine Form der Aufhebung des Klassenprojektes und damit ein wichtiges Element der Partikularisierung der Individuen in einem um die Arbeit und die materielle Produktion zentrierten gesellschaftlichen Verhältnis ist, so beinhaltete sie doch keine Aufhebung der Partikularisierung im Allgemeinen. Ihr Objekt hat sich in einer Periode der Krise der alten Vermittlungen und Repräsentationen geändert, was auf mehreren Ebenen die Zweideutigkeit dieser Bewegungen erklärt:

  Es ist nur ein Schritt von der funktionellen Kollektivität zur organischen Kollektivität, und es ist kein Zufall, daß man einen nicht zu vernachlässigenden Zustrom von Landbevölkerung und Konservativen bei den „Grünen" - vor allem in Deutschland - erkennt, aber auch in den Vereinigten Staaten, wo die „deep ecology" sich mehr und mehr auf Kosten einer sozialen Ökologie (Murray Bookchin) durchzusetzen scheint. Die Kritik der Herrschaft über die Natur hätte somit nur zu ihrem Gegenteil geführt, einem Eintauchen in die Natur (zurück zu einer Vorherrschaft natürlicher Bestimmungen), ohne daß die Beziehungen der Individuen zur äußeren und ihrer eigenen Natur neu definiert würden. Für die „deep ecology" ist die Herrschaft über die Natur vorrangig, obwohl sie sich tatsächlich nur aus der Herrschaft der Menschen über die Menschen ableiten läßt. Die Kritik wird durch Mystik ersetzt.

  Die „Bewegung", die sich als „Autonomie" verstehen will, setzt sich aus Individuen zusammen, die sich letztendlich in der Heteronomie denken: Das Subjekt des Humanismus existiert nicht mehr, und das bürgerliche Individuum wird durch das Individuum aus der Epoche der Auflösung der Klassen ersetzt. Als zerrissenes Subjekt kann es in seinen Beziehungen zu anderen nur noch schwer die Bestätigung seiner Existenz und somit seiner Autonomie finden, während das Individuum der Klassen es in seiner Klassenexistenz finden konnte, zum Beispiel als proletarisches Individuum. Das zerrissene Subjekt kann also nur in intersubjektiven Beziehungen (Schaffung von Gemeinschaften, aber auch in den „Verzweigungen aller Art", den sozialen Netzen etc.) hoffen, seine Subjektivität zu beweisen. Die mangelnde Stärke des Individuums im Auflösungsprozeß der Klassen führt paradoxerweise dazu, als übergeordneten Wert Authentizität zu propagieren, was auch immer ihr Inhalt sei. Dies führt zur Apologie der Differenzen und zur Akzeptanz des Fragmentierungsprozesses des Seins, der doch die erste Etappe zur kompletten Realisierung der Trennung ist.26

2. Was wurde aus der Autonomie: der Neo-Operaismus27

Negri und einige Neo-Operaisten (vgl. verschiedene Ausgaben der Zeitschrift „Futur Antérieur") hielten in den achtziger Jahren an dem Konzept der „Verweigerung der Arbeit" fest, sogar in der konterrevolutionären Wendung des in den sechziger/siebziger Jahren begonnenen Kampfzyklus.28 Die Entwicklung der sogenannten Schattenökonomie und die unterschiedlichen produktiven Erfahrungen haben demzufolge eine neue Basis für eine Alternative gegründet, eine Alternative zur Ausbeutung in der großen kapitalistischen Fabrik und zum Niedergang der traditionellen Gestalt der Klasse. Diese kooperativen Erfahrungen im Herzen neuer Formen handwerklicher Betriebe seien im wesentlichen keine Antwort des Kapitals auf seine Krise und somit kein Element seiner Restrukturierung. Sie seien die Form, die die neuen Arbeitersubjektivitäten im Innern der neuen produktiven Ordnung annähmen. Negri nennt dies das „politische Unternehmer-Proletariat" („entreprenariat politique"). Die Autonomie des Politischen formiere sich somit paradoxerweise als Unabhängigkeit vom Gesellschaftlich-Ökonomischen auf einer Mikroebene und als Ablehnung des Staates als Totalität. Tatsächlich kann diese Totalität nur die bürgerliche Totalität sein, der man den Reichtum und die Verschiedenartigkeit der Partikularitäten entgegensetzen muß, die sich gerade in den alternativen Praktiken und den Mikro-Konflikten ausdrücken.29 Die Entwicklung des Operaismus ist charakteristisch für seine historisch-politische Verankerung. Zwischen dem alten (dem revolutionären Subjekt, das man reaktivieren oder wiederfinden muß) und dem neuen (dem Niedergang des antagonistischen Charakters der Klassen und ihrer revolutionären Rolle) ist er gezwungen, endlos die Figur eines oder mehrerer neuer Subjekte zu suchen, um einer Situation Rechnung zu tragen, in der nicht mehr der Widerspruch zwischen Entwicklung der Produktivkräfte und Enge der Produktionsverhältnisse dominant ist, sondern der zwischen produktiver Verwertung durch die „gesellschaftliche Arbeitskraft" und kapitalistischem Kommando.

Diese Figur ist nicht mehr der bewußte Arbeiter der großen Industrieunternehmen (vgl. Raniero Panzieri und die Epoche der „Quaderni rossi" in den Jahre von 1960 bis 1965), nicht mehr der „Massenarbeiter" der Jahre 1965 bis 1970 (Tronti und Negri) und auch nicht mehr der „gesellschaftlichen Arbeiter" vom Ende der siebziger Jahre (Negri). Heute setzt Negri seine Hoffnungen nicht mehr auf die Handarbeiter der Manufaktur-Fabriken, die der Arbeitslosigkeit am stärksten ausgesetzt und damit die geschwächtesten sind und am wenigsten für die Zukunft in einem System kämpfen, in dem die Zirkulation über die Produktion siegt. Er setzt seine Hoffnungen nun in die Arbeiter und Angestellten im Dienstleistungsbereich, vor allem in die der neuen privaten Dienstleistungen der Information, der Kommunikation und der Kultur.30

Hier kommt eine bedeutende Schwäche zum Vorschein. Wenn das Subjekt der Subjektivität bei Negri und den Neo-Operaisten endlos wechselt, geht das verloren, was schließlich als Krise des revolutionären Subjekts (das Proletariat) und seines historischen Ausdrucks (die Arbeiterbewegung) analysiert werden könnte. Das geht ein wenig in die Richtung, als ob die verallgemeinerte Tertiarisierung, die eine immer mächtigere „gesellschaftliche Arbeitskraft" hervorbringt, ein ausreichendes Element potentieller Subversion des Systems darstelle und dadurch auch die politische Frage regele. Jedenfalls stellt die Entwicklung Negris implizit eine Manifestation der Krise des proletarischen Programms dar, da er in einem Dutzend Jahren von der Theorie der leninistischen Avantgarde (die „organisierte Autonomie") zu der eines schon in der Bewegung seiner Konstituierung unmittelbar revolutionären Subjekts übergegangen ist. Daher die Zweideutigkeit operaistischer Begriffe wie „neue Klassenzusammensetzung" oder „Neuzusammensetzung der Klasse", die eine Klassenanalyse in den Begriffen von Marx ersetzen. Man hat den Eindruck, daß die wichtige Unterscheidung von „Klasse an sich" und „Klasse für sich" keine Daseinsberechtigung mehr hat.

Was die technologische Revolution betrifft, so stellt sie demzufolge eine „Arbeit im Allgemeinen" her, die die alten Unterscheidungen zwischen konkreter und abstrakter Arbeit, zwischen einfacher und komplexer Arbeit, zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit hinfällig werden läßt. Die unmittelbare Subjektivität dieser „Arbeit im Allgemeinen" erlaube es, so Negri, die Lücke zwischen Bewegung und Ziel sowie die nie gelöste Frage der Beziehungen zwischen dem Individuellen und dem Kollektiven aufzuheben. Die Begriffe von Masse und Menge (im Sinn von Spinoza) erlauben es demnach, die Sichtweise einer auf ihren bürgerlichen Prozeß reduzierten Individualität zugleich mit der einer kollektiven Dimension, die in der Diktatur es Proletariats symbolisiert, aber karikiert wurde, zu überwinden. Man sieht hier also, daß die Idee der Gemeinschaft in der Analyse nicht fehlt, aber die Perspektive ist nicht die einer Ersetzung der Gemeinschaft (communauté) durch die Gesellschaft (société). Negri nimmt nur die Unterscheidung von Ferdinand Tönnies wieder auf, indem er sie links wendet, aber ohne die Natur dieser Gemeinschaft und das, was ihr Werden und ihre Zukunft sein könnte, zu vertiefen. Die heute wesentlichen Fragen des „Zusammenseins" der Individuen (Gemeinwesen)31 und der Spannung zwischen Individuum und Gemeinschaft werden nicht gestellt.

Seit den neunziger Jahren stellt sich für einige Neo-Operaisten (Maurizzio Lazzarato, Saverio Ansaldi) nicht einmal mehr die Frage eines neuen Subjekts, da das Kapital nicht mehr allein von einem ethischen und politischen Gesichtspunkt (klassische Position des operaistischen Moralismus) parasitär ist, sondern auch von einem objektiven Gesichtspunkt aus, da es der Beherrschung der Produktivkräfte enteignet ist, die sich in den ganzen gesellschaftlichen Bereich ausgebreitet haben. Das Kapital sei nackt, weil dieser gesellschaftliche Bereich die wahre Souveränität inne habe. Hier findet man das unmittelbare Credo der kapitalisierten Gesellschaft wieder: die falsche Gegenüberstellung von Ökonomie und Gesellschaft. Wenn man diese kapitalisierte Gesellschaft als Subsumtion der Gesellschaft unter das Kapital definiert,32 bedeutet die Rede von „parasitärem Kapital" und „Macht der gesellschaftlichen Arbeit" nichts anderes, als die Ausdehnung und die Intensität der Herrschaft nicht zu verstehen, das heißt, das Kapital auf seine ökonomische Dimension zu reduzieren, auf seine Fähigkeit, die Produktion und das Wachstum der Produktivkräfte zu organisieren, eine Fähigkeit, die es angesichts der spontanen Koordination der Elemente des sozialen Ganzen verloren habe. Das Kapital bewahre nur eine falsche Souveränität, eine Kommandomacht, die ihm aus der Beschlagnahme einer Macht zukäme, die außerhalb des Kapitals existiere.

So beschwört Saverio Ansaldi, ausgehend von einer durch Negri „frisierten" spinozistischen Metaphysik, in Heft 33/34 der Zeitschrift „Futur Antérieur" hinsichtlich der Streiks vom Herbst 1995 die Kraft der Immanenz der Gesellschaft als Menge.33 Die Menge ziehe ihre Macht (puissance) daraus, daß sie durch den in der Entwicklung der gesellschaftlich gewordenen Produktivkräfte akkumulierten „general intellect" bereichert ist. Die gesellschaftliche Macht (puissance) ist somit getrennt von der politischen Macht (pouvoir) und genügt sich selbst. Dieses Unverständnis des Kapitals als gesellschaftliches Verhältnis (zunächst zwischen den Klassen, dann allgemeiner zwischen einem Pol der Arbeit und einem Pol des Kapitals) bringt eine eigenartige Umkehrung hervor. In den siebziger Jahren wollte die „organisierte Autonomie" die Arbeit von der kapitalistischen Herrschaft des Staates und der Unternehmerschaft durch das gemeinsame Handeln der Basiskomitees und des bewaffneten Kampfes befreien, während sie die Bedeutung der gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Komplexität vergaß. Das führte zu einer Überbewertung des Politischen, die sich in einer Fixierung auf die Machtfrage und einer Praxis des Krieges gegen den Staat manifestierte. In den achtziger/neunziger Jahren kommt man hingegen zu einer Unterschätzung oder gar zu einer Zurückweisung der politischen Dimension, da die Macht (puissance) gesellschaftlich und die Politik ein natürlicher Aspekt im Leben sei.34 Wenn die politische Dimension für Ansaldi nicht mehr notwendig ist, so auch deshalb, weil es die Besonderheit des Kapitalismus sei, Ökonomie und Politik unauflösbar zu verknüpfen. Die Vernachlässigung der politischen Sphäre bei Marx erkläre sich aus der Tatsache, daß es keine politische Sphäre gibt und somit keine mögliche Autonomie des Politischen. Die Arbeit sei zugleich eine ökonomische Beziehung von Ausbeutung und eine politische Beziehung von Herrschaft. Mit dieser letzten Behauptung kann man einverstanden sein, aber um die Logik der Argumentation im ganzen zu verstehen, muß man auf die Analyse zurückgreifen, die zu den jüngsten Veränderungen des Kapitalismus gemacht wurde. Maurizzio Lazzarato beispielsweise behauptet in derselben Ausgabe von „Futur antérieur" die Vorherrschaft des zirkulierenden Kapitals gegenüber dem fixen Kapital und gibt somit einen deutlichen Hinweis auf den zweiten Band des „Kapitals" von Marx, während es regelmäßig eher der erste Band ist, der die Marxisten inspiriert.35 Lazzarato zieht daraus einige Schlußfolgerungen:

  In den neuen Arbeitsformen verringert sich der vorgeschriebene oder erzwungene Teil der Arbeit zugunsten des Teils, der gewählt werden kann. Da die Tätigkeit kaum mehr standardisiert ist, wird sie weniger sichtbar und kaum meßbar. Vorherrschend ist nicht mehr eine Arbeitsaktivität, sondern eine Aktivität über der Aktivität, genauer, die Fähigkeit zur Intervention in die Arbeitsbedingungen. Die Arbeit muß aus dem schöpfen, was es an spezifisch Individuellem beim Subjekt gibt. Dies manifestiere die Zentralität der immateriellen Arbeit in den neuen Produktionsprozessen. Diese immaterielle Arbeit impliziert die Beteiligung der Subjektivität der Arbeiter und stellt die ganze symbolische Dimension der Tätigkeit dar. Diese erste Konklusion kann auf verschiedenen Ebenen kritisiert werden. Zunächst vernachlässigt Lazzarato den lächerlichen und von den Unternehmern vorgenommenen Gebrauch, der von dieser subjektiven Macht (puissance) gemacht wird; dann verwechselt er konstant Arbeit und Tätigkeit im Innern einer neuen produktiven Konfiguration, die von nun an - das heißt im Kapitalismus - die Widersprüche der menschlichen Tätigkeit in ihren verschiedenen historischen Formen auflösen würde. Es nützt nichts, André Gorz seine künstliche Trennung zwischen autonomer Aktivität und heteronomer Arbeit vorzuwerfen, wenn das geschieht, um ebenso künstlich einen Widerspruch zu beseitigen, der älter ist als der Kapitalismus selbst.36 Aber die wichtigste Kritik führt zu seiner Unfähigkeit, den Entwicklungsprozeß der technischen Wissenschaft als hauptsächlichen Motor der Herrschaft des modernen Kapitalismus ins Auge zu fassen. Die Betonung, die auf das zirkulierende Kapital gelegt wird, läßt die Rolle des fixen Kapitals in dem gleichen Prozeß vergessen: Innovationen, massive Ersetzung von Arbeit durch Kapital, abnehmende Bedeutung der Arbeitskraft und die Unmöglichkeit, sich diese gigantische Akkumulation von Wissen und Macht (puissance) in diesem Zustand wiederanzueignen, diesen „general intellect", wie die Neo-Operaisten sagen. Sie behalten nur den Informations- und Kommunikations-Aspekt des Prozesses (zirkulierendes Kapital) im Gedächtnis. Wenn aber das Wort zirkuliert, ist es nicht zirkulierendes Kapital, sondern Arbeit (die Seite des Produzenten) und immaterielle Ware (die Seite des Produzierten) durch die Vermittlung von fixem Kapital.37 Die Beziehung zum fixen Kapital ist nicht nur eine Frage kapitalistischer Intensität - effektiv ist diese in den Hochöfen der Eisen- und Stahlindustrie höher als in der Informationsindustrie -, sie ist eine Frage von Macht und Herrschaft. Diese Herrschaft wird nicht nur in den Arbeitsverhältnissen ausgeübt, sondern auch in der ganzen infrastrukturellen Organisation des Lebens (Transporte und Kommunikation, Zerteilung des Raums, Ausdehnung des Urbanen). Wohlverstanden, die Tatsache, ob der „general intellect" ins fixe Kapital oder ins zirkulierende Kapital integriert ist, hat nicht die gleichen politischen Implikationen. Es handelt sich hier somit nicht um eine akademische Diskussion unter Ökonomen. Die Option der Vorherrschaft des fixen Kapitals führt dazu, die Kräfte des Kapitals denen der Arbeit - sei es die der ganzen Gesellschaft oder allein die der Klasse der Arbeit (Arbeiterklasse) - entgegenzustellen. Diese Option legt den Akzent auf die Enteignung und die Entfremdung. Die Option der Vorherrschaft des zirkulierenden Kapitals legt den Akzent auf die produktive und kreative Kraft der Arbeit, indem diese den Charakter von „allgemeiner Arbeit" (Negri) oder von immaterieller Arbeit (Lazzarato) erlangt. In diesen Hypothesen gibt es keinen Widerspruch mehr, und man hat den Eindruck, daß es ausreichend wäre, die Gesellschaft sich selbst transparent zu machen, damit sie ihre Autonomie und das Ende der Herrschaft bestätigt. Von einem philosophischen Gesichtspunkt sind es Spinoza, Deleuze und Guattari, die Hegel und Marx beerdigen.

  Der „general intellect" könnte die Basis einer neuen antagonistischen Subjektivität in einer Epoche sein, in der das Wissen die hauptsächliche Produktivkraft geworden ist, unter der Bedingung, ihn von der objektivistischen Konnotation zu befreien, die ihm Marx im „Fragment über die Maschinen" gibt, wo er ihn mit der toten Arbeit und somit schließlich mit dem fixen Kapital vergleicht. Wie Paolo Virno feststellt, kann er sich auch als lebendige Arbeit in den gemeinsamen Formen der „intellektuellen Arbeit" von Marx und der gesellschaftlichen Kommunikationen präsentieren.38 Vernachlässigt wird in dieser Perspektive, daß dieses Wissen, während es sich entwickelt, komplexer und immer abstrakter wird, sich schließlich auf einem noch höheren Niveau als dem objektiviert, das Marx vorwegnahm, und daß diese Objektivierung einen neuen Rahmen und neue Ressourcen für die Herrschaft begründet. Wenn Marx hier „kritisiert" werden kann, dann insofern, als er nicht voraussehen konnte, daß diese ganze Entwicklung sich im Herzen des Kapitalismus verwirklichen und das Werk des Kapitalismus selbst sein würde. Genau dieses objektivierte Wissen realisiert sich auch als Herrschaft. Es ist nicht neutral. Und es ist diese Herrschaft, die wir mit den Begriffen „kapitalistisches Reproduktionssystem" (Wajnsztejn) und „Vollendung des Kapitals" (Guigou) bezeichnet und kritisiert haben.39

All diese Kritik sollte jedoch nicht vergessen lassen, daß die operaistische Strömung eines der einsamen, auf theoretischer Ebene kohärenten Unternehmen der globalen Kritik des Kapitals darstellt, das den Veränderungen dieser letzten Jahre Rechnung zu tragen versucht.

Anmerkungen

1 – Mario Tronti, Arbeiter und Kapital, Frankfurt 1974, S. 149.

2 – Dieses Unternehmen wird von Panzieri kurz vor seinem Tod 1964 kritisiert, indem er Tronti vorwirft, eine neue Philosophie, eine Philosophie der Arbeiterklasse begründen zu wollen.

3 – Für eine Wiederaufnahme des Begriffs politischer Lohn vgl. Karl Heinz Roth, Die „andere" Arbeiterbewegung und die Entwicklung der kapitalistischen Repression von 1880 bis zur Gegenwart. Ein Beitrag zum Neuverständnis der Klassengeschichte in Deutschland, München 1974.

4 – Nanni Balestrini/Primo Moroni, Die goldene Horde. Arbeiterautonomie, Jugendrevolte und bewaffneter Kampf in Italien, Berlin 1994, S. 293.

5 – Vgl. Franco Berardi, Le Ciel est enfin tombé sur la terre, Paris 1978.

6 – Toni Negri, Italie rouge et noir: journal février 1983-novembre 1983, Paris 1985.

7 – Vgl. Jacques Guigou, La Cité des ego, Montpellier 1987.

8 – „Insurrezione" ist eine Gruppe, die sich, ausgehend von diversen Ursprüngen (beeinflußt von der Zeitschrift „Invariance", série 1, und von Gruppen wie „Comontismo" und „Collegamenti"), im wesentlichen von 1977 bis 1979, in anderen Formen (nach der Repression) bis 1982 entwickelt hat. Einige ihrer Texte wurden von der Zeitschrift „L'Ombre hérétique" unter dem Titel „Prolétaires si vous saviez" ins Französische übersetzt. Ehemalige von „Insurrezione" haben auch die Broschüre „Parafulmini e Controfigure" geschrieben, in der die Aktionen der Gruppe des bewaffneten Kampfes „Azione Rivoluzionaria" kritisiert werden, die aus Personen bestand, die aus dem kleinen Einflußbereich der Gruppe kamen.

9 – Wobei sich dieses Wiederanknüpfen durch die Reaktivierung der Räte-Thesen („Internationale Situanionniste", „Noir et Rouge", „Informations et Correspondance Ouvrières") oder der bordigistischen Thesen („Invariance", „Le Mouvement communiste") und durch die Verbreitung der unverlegt gebliebenen Frühschriften von Marx in linksradikale Richtung entwickelt.

10 – Eine gründlichere Beschäftigung mit dieser Frage findet sich in Jacques Wajnsztejn, Individu. Révolte et terrorisme, Paris, Nautilus, 1987, besonders im ersten Teil, der eine Art Bilanz dieser theoretischen Verirrungen bietet.

11 – Vgl. Bob Nadoulek, Violence au fil d'Ariane. Du karaté à l'autonomie politique, Paris 1977 und Bob Nadoulek, L'Iceberg des autonomes, Paris 1979.

12 – Joachim Bruhn, Randale und Revolution, in: Die alte Straßenverkehrsordnung. Dokumente der RAF, Berlin 1986, S. 157-174, hier S. 165. Siehe auch Joachim Bruhn, Revolution des Willens. Über den bewaffneten Kampf und die Schaulust am Terroristen, in: Der blinde Fleck. Die Linke, die RAF und der Staat, Frankfurt a. M. 1987, S. 122-134. Vgl. auch Joachim Bruhn, Le corps, alerte rouge und Joachim Bruhn, Le sens de la vie et la politisation de la RAF, in: Temps critiques 1/1990, S. 89-99 und S. 101-112 sowie Joachim Bruhn, L'antifascisme comme ersatz de révolution ou comment la subjectivité bourgeoise réussit une dernière fois à se doter d'un masque révolutionnaire. Une réponse à Loic Debray, in: Temps Critiques 3/1991, S. 153-163.

13 – Joachim Bruhn, Randale und Revolution,a.a.O., S. 165.

14 – Vgl. Jacques Wajnsztejn, Individu. Révolte et terrorisme, a.a.O., (zweiter Teil).

15 – Theodor W. Adorno, Marginalien zu Theorie und Praxis, in: Ders., Kulturkritik und Gesellschaft II. Eingriffe-Stichworte-Anhang (Gesammelte Schriften, Band 10/2), Frankfurt am Main 1977, S. 759-782, hier S. 766.

16 – Ebd., S. 767.

17 – Vgl. Hans-Jürgen Krahl, Konstitution und Klassenkampf. Zur historischen Dialektik von bürgerlicher Emanzipation und proletarischer Revolution, Frankfurt 1971.

18 – Theodor W. Adorno, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, Frankfurt am Main 1969, S. 42.

19 – Vgl. Herbert Marcuse, Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie (Schriften, Band 4), Frankfurt am Main 1989.

20 – Vgl. Herbert Marcuse, Versuch über die Befreiung, Frankfurt am Main 1969.

21 – Vgl. Abbie Hoffman, Revolution for the Hell of It, New York 1968.

22 – Vgl. Jerry Rubin, Do it! Scenarios für die Revolution, Reinbek bei Hamburg 1971 (Neuauflage: München 1977).

23 – Franco Piperno, Innovation technologique et transformation de l'être social, in: Marie-Blanche Tahon/André Corteu (Hg.), L'État et la gendarme, Quebec 1986.

24 – Franco Berardi („Bifo"), Communication et Autonomie, in: Ebd., S. 121.

25 – Jean-Pierre Voyer, Introduction à la science de la publicité, Paris 1975 (dt. Ausgabe: Einführung in die Wissenschaft der Publizität, Leverkusen 1982). Zu den Begriffen „Kommunikation" und „Schwätzen" vgl. auch die Zeitschriften „Les fossoyeurs du vieux monde" und „Os Cangaçeiros".

26 – Vgl. die Zeitschrift „Invariance", série 3.

27 – Diese Überlegungen stellen einen Anhang aus dem Jahr 1997 zu dem bisher unveröffentlichten Originaltext aus dem Jahre 1988 „Von der Autonomie zu den Autonomien" dar.

28 – Dieser Begriff der „Verweigerung der Arbeit" muß hier im Sinn der Verweigerung des kapitalistischen Kommandos über die Arbeit verstanden werden und nicht im Sinn einer Kritik der Arbeit als solcher.

29 – Gilles Deleuze/Félix Guattari, Kapitalismus und Schizophrenie. Tausend Plateaus, Berlin 1992; Félix Guattari/Toni Negri, Les Nouveaux espaces de liberté, Gourdon 1985.

30 – Antonio Negri, Marx et le travail: le chemin de la désutopie, in: Futur antérieur, 35/36-1996.

31 – Vgl. Jacques Camatte, Capital et Gemeinwesen. le 6e chapitre inédit du „Capital, Paris 1978.

32 – Und nicht allein der Subsumtion der Arbeit unter das Kapital, wie es Marx in den „Resultaten des unmittelbaren Produktionsprozesses" mit seiner Definition der „reellen Subsumtion unter das Kapital" suggerierte, und wie es Negri in seiner Interpretation der „Grundrisse" wieder aufnimmt (Antonio Negri, Marx au-delà de Marx: cahier de travail sur les Grundrisse, Paris 1979).

33 – Saverio Ansaldi, Le prince et la multitude, in: Futur antérieur, 33/34-1996, S. 27-31.

34 – Interessanter, wenngleich ebenfalls einseitig, ist die Position von Giorgio Agamben: „Das nackte Leben enthält in der westlichen Politik ein besonderes Privileg: Es ist das, was durch seinen eigenen Ausschluß die Gemeinschaft der Menschen begründet." Giorgio Agamben, Homo sacer. Il potere sovrano et la nuda vida, Turin 1995, S. 11. Für ihn sind es Enteignung und Entfremdung, die die Notwendigkeit der Gemeinschaft begründen, eine gewissermaßen politische Notwendigkeit, trotz der Abwesenheit einer spezifischen politischen Dimension.

35 – Maurizzio Lazzarato, Le travail: un nouveau débat pour des vieilles alternatives, in: Futur antérieur, 33/34-1996, S. 71-100.

36 – Vgl. Temps Critiques, Anthologie volume 1, Paris 1998, besonders die Artikel von Jacques Wajnsztejn: „Quelques précisions sur le système de reproduction capitaliste" (in diesem ARCHIV, S. 419-440) und Jacques Guigou: „Trois couplets sur le parachèvement du capital".

37 – Der Begriff des zirkulierenden Kapitals selbst erscheint unangemessen. Bald ist es Arbeit, die zirkuliert, bald sind es Waren, bald immaterielle Formen von Kapital.

38 – Vgl. Paolo Virno, Notes sur le General intellect, in: Futur antérieur, 10/1992, S. 45-53. Zur Kritik dieses Begriffs siehe Riccardo d'Este, Quelque chose. Quelques thèses sur la société néomoderne, in: Temps critiques, 8/1994, S. 24-32.

39 – Vgl. die beiden in Anm. 36 erwähnten Texte von Jacques Wajnsztejn und Jacques Guigou.